Alles über Antiquitäten Die Ikone Kunst- und Kultobjekt pie wäre in diesem Zusammen- hang fehl am Platz. Mit dem Fall von Konstantin- opel (1453) ging die Führung der orthodoxen Kirche an Ruß- land, das seit Vladimir I. (978- 1015) von Byzanz aus christia- nisiert wurde. Sehr schnell und relativ ungestört (Mongolen- einfälle) hatte Rußland eine hohe ikonografische Kultur entwickelt: Novgoroder Schu- le, Schule von Pskov (12.-14. Jahrhundert); Moskauer Schu- le (15.-17. Jahrhundert). Auch später noch erfuhr die russi- sche lkonenmalerei eine äs- Verfeinerung thetische (Stroganoff-Schule; Malerdör- fer Palech, Cholui, Mstera; Jaroslawl-Schule usw.), um et- wa ab dem 18. Jahrhundert zu stagnieren (Altgläubigenmale- rei, Bauernmalerei, serbische Wandermaler, höfische Male- rei). Der Verfall der russischen lkonenmalerei tritt mit der In- dustrialisierung um die Mitte des 19. Jahrhunderts endgül- tig ein (maschinelle Produk- tionsweisen, Stilmischungen), obwohl bis zum Malverbot von 1922 noch technisch perfekte Arbeiten entstanden (vorwie- gend Altgläubigenmalerei). Mit dem 18. Jahrhundert tritt ein wachsendes Schmuckbe- dürfnis bei Ikonen ein, wobei namhafte Juweliere selbstän- dig mitwirkten (silberne, gol- dene oder textile Verkleidun- gen: Oklad, Riza, Basma). Ur- or, iii ii. Auf keiner Kunst- oder Anti- quitätenausstellung ist sie wegzudenken — die Ikone! Diesen heute mehr und mehr populärer werdenden Begriff umgibt trotz einer wachsenden Vielzahl an Fachliteratur im- mer noch ein mystisches Ge- heimnis und einen ehrfürchti- gen Respekt. Das hängt vor al- lem mit ihrer christlich- kultischen Bedeutung zusam- men, obwohl das Wort „Ikone" schlichtweg „Bild", bzw. „Ab- bild" meint (griech. „eikon"). Technisch und bildlich ha- ben die Ikonen ihre Wurzeln in der Enkaustikmalerei der Mumienbilder ägyptischen (Enkaustik — spezielles Ver- fahren, mit Wachsfarben zu malen). Doch schon um die Mitte des ersten Jahrtausends ging man zur Temperamalerei und später zur Eitern peratech- nik über, die eine höhere Halt- barkeit versprach. Als Bildträ- ger diente eine Holztafel oder die steinerne Wand (Kirchen- malerei). Gleichzeitig, beson- ders in byzantinischer Zeit, gab es die ikonografische Skulptur, das Mosaik, das Re- lief und weiter eine Vielzahl von liturgischen Gegenstän- den, die heute allesamt unter dem Oberbegriff „Ikone" zu- sammengefaßt werden, da sie religiös- ausschließlich kultischen Zwecken dienten. Das heißt, der christlich- ideelle I nhalt eines Themas be- stimmte die künstlerische oder kunsthandwerkliche Form. So- mit ist jede Ikone und jeder iko- nografische Gegenstand das „Produkt" religiöser Inbrunst, unabhängig von ihrer künstle- rischen oder ästhetischen Un- terschiedlichkeit der „Hand- schriften". Als erster lkonenmaler gilt der Apostel Lukas, der das er- ste Bild (Urbild) der Gottes- mutter auf einer Tischplatte der Heiligen Familie gemalt haben soll — darum wird er auch als Schutzpatron der Ma- ler verehrt. Fast sämtliche Dar- stellungen auf Ikonen gehen auf ein sogenanntes „Urbild" zurück; mit dessen erstmali- gem Erscheinen sind stets wundervolle Ereignisse oder Legenden verknüpft. Um diese wundervolle Kraft zu erhalten, legte man Malerhandbücher an, nach denen sich alle späte- ren Generationen von Ikonen- malern zu richten hatten, wenn sie von einem Urbild ein Abbild herstellten (Urbild-Abbild- Theorie). Das bloße Wort Ko- 18 wurden sprünglich als Votivgabe ge- diese spendet, metallenen Verkleidungen im 19. Jahrhundert gestanzt und nur noch die unter dem Metall sichtbaren Teile ausgemalt. Eine der wichtigsten Voraus- setzungen für die lkonenmale- rei bedeutete generell die mön- chische Gemeinschaft und die damit verbundene Arbeitstei- lung: Herstellen der Tafel, grundieren, vergolden, malen der Staffage, lnkarnat-Malerei, Firnissen. Diese separat aus- geführten Arbeiten entspra- chen der mönchischen Hierar- chie, die man als Abbild der göttlichen Hierarch ie begriff. Die erzielten Gewinne wur- den gemeinschaftlich geteilt: ein Drittel diente dem Material- erwerb, ein Drittel ging als Al- mosen an die Bedürftigen und das letzte Drittel diente der täglichen Notdurft und als Un- terhalt des Klosters. Das Sig- nieren und Datieren der Iko- nen war unerwünscht (es sind nur wenige Ausnahmen be- kannt), ja geradezu verboten, da man im malerischen Talent eine göttliche Gabe sah. Dar- um fällt es meist so schwer, speziell die russische Ikone ei- ner bestimmten Zeit, einer be- stimmten geografischen Re- gion oder einer bestimmten Schule zuzuordnen. Die heute im Kunsthandel angebotenen Ikonen sind meist russischer Herkunft oder stammen vom Balkan, letztere meist minderer Qualität. Dar- überhinaus unterscheidet der Fachmann noch veneto- kretische, kaukasische, byzan- tinische, koptische Ikonen, die wegen ihres hohen Alters oder ihrer enormen Minderzahl kaum im Handel angeboten werden können. Eine kleine Ausnahme bilden die rumäni- schen Hinterglas-Ikonen, die allenthalben angeboten wer- den. Unser aller Respekt gilt vor allem der russischen Ikone, besser deren Schicksal, denn seit der bolschewistischen Re- volution von 1917 uriterlag sie den gleichen vernichtenden Verfolgungen wie der einzelne Christ und die Gesamtheit der russisch-Orthodoxen Kirche. Erst in jüngerer Zeit findet in der Sowjet-Union ein Umden- ken statt, das in der Ikone nun ein erhaltenswürdiges Denk- mal der Nationalkultur sieht. Die Ikone ist überhaupt ein Teil der europäischen Kultur!