wäre eigentlich unsere Pflicht, der Romantik wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Dieses Haus, die Kohlenwä- sche, soll ein Wendepunkt sein in eine neue Zeit, wo die Ökolo- gie wieder an Bedeutung ge- winnt. Es sollte ein erster An- stoß sein zu einem Friedens- pakt, den wir mit der Natur schließen müssen. Es war doch bisher so, daß das Bibelwort galt „Macht Euch die Natur untertan." Und das haben wir gemacht, auch mit Hilfe der neuen deutschen Sachlichkeit. Der Bibelsatz „macht Euch die Natur untertan" war falsch. Wir müssen jetzt neu beginnen, und zwar so, daß wir uns unter die Natur begeben, denn nur die Natur soll uns untertan ma- chen, und das ist gar nicht so schlecht. Natur auf das Dach Wenn wir uns unter die Natur begeben müssen, dann bedeu- tet das symbolisch und auch praktisch, daß wir wieder in Häusern leben müssen, wo die Natur über uns ist, denn es ist unsere Pflicht, die Natur, die wir dadurch umbringen, daß wir ein Haus bauen, wieder auf das Dach zu bringen. Die Natur, die wir auf dem Dach haben, ist die- ses Stück Erde, das wir umge- bracht haben dadurch, daß wir das Haus dahin gestellt haben. Es gibt einen Leitsatz: „Alles, was waagerecht ist, gehört der Natur. Nur was senkrecht ist, kann der Mensch fur sich in An- spruch nehmen." Wir müssen der Natur Terri- torien zurückgeben, die wir ihr widerrechtlich weggenommen haben. Das ist ein Handel des Friedenspaktes mit der Natur. Warum soll nicht Hamm ein Beispiel dafür geben? Die Kohlenwäsche ist hervor- ragend dafür geeignet: sie ist solide, aus Beton, hat große Be- tontrichter. Sie kann Erde auf- nehmen, und man kann große Bäume darauf pflanzen. Manifestation der romantischen Sehnsucht Es ist sehr wichtig, daß auf dem Dach kein Glashaus entsteht, denn die Geradlinigkeit des Glashauses ist von weither sichtbar. Die Kohlenwäsche ist wichtig für die Menschen, die dieses Haus von weit weg se- hen, denn es wird eine Burg, es wird eine Manifestation der ro- mantischen Sehnsucht der Menschen. Sie sehen von weit her Bäume, die auf verschiede- nen Ebenen die Landschaft überdachen, anstatt eine gerad- linige Skyline, wie wir sie bis zum Überdruß überall sehen. Das Häßlichste an einem Haus ist die Geradlinigkeit, die geo- metrische Gerade, wo insbe- sondere die gerade Skyline am ärgsten und am härtesten uns überfällt und uns terrorisiert. Blitzbesuch vor Ort im Juni: Hundertwasser zeigte sich begeistert von der ehemaligen Kohlenwäsche der Zeche Maximilian, insbe- sondere von den Möglichkeiten, den Betonklotz im Rahmen der Landesgartenschau in ein Okologiehaus zu verwandeln. Foto: Eickmann 12 Hierzu möchte ich noch et- was anderes demonstrieren, nämlich, daß Bäume auch aus einer senkrechten Wand wach- sen, denn was uns noch terrori- siert und worunter wir noch lei- den, sind die Senkrechten, senkrecht gebaute Wände. Noch nie ist der Mensch in sei- ner Geschichte — er hat tau- sende von Jahren auf dieser Er- de gelebt — so konfrontiert worden mit senkrechten Wän- den, in denen Menschen woh- nen, senkrechte Wände, in de- nen Menschen wie Sardinen übereinandergeschichtet sind. Der Baum wächst normaler- weise in der Ebene, später in Gärten und Parkanlagen. Neu- erdings — und da habe ich viel mitgeholfen — auf den Dächern der Häuser. Bäume aus den Fenstern Nun ist das so. Wenn Bäume auf den Dächern wachsen, so haben in den Städten meistens nur wenige Menschen etwas davon, nur die Penthouse-Be- sitzer. Um die senkrechten Wände zu bepflanzen, ist nur ei- ne radikale Lösung möglich, eben daß Bäume aus den Fen- stern wachsen. Das ist tech- nisch durchaus möglich und durchführbar, und es ist bereits durchgeführt worden. In Wien gibt es bereits Baum-Mieter. Die Bezeichnung Baum-Mieter deshalb, weil ein Baummieter eben ein Mieter ist. Er bezahlt so, wie ein Mieter, nur mit wert- volleren Devisen als ein Mensch ermitteln kann. Ein Mensch zahlt mit wertlosem Pa- piergeld. Der Baum jedoch be- zahlt mit Sauerstoff, mit Schön- heit, dadurch, daß er Staub schluckt in großen Mengen, da- durch, daß er das Echo nimmt, also den Schall schluckt, aber ganz entscheidend. Als Staub- schlucker ist er ein ständiger, lautloser Staubsauger. Er ist ein Klimaverbesserer. Er konser- viert Wärme im Winter, Kühle im Sommer. Dies sind nur einige der wich- tigen Punkte, was ein Baum al- les tun kann. Er ist ebenso ein Wasserverbesserer. Er bringt Tiere in die Stadt, Schmetterlin- ge, Vögel, Es ist eine lange Li- ste, womit ein Baum bezahlt. Technisch geht das so, daß hinter den Fensteröffnungen, wenn das Glas entfernt ist, eine Nische geschaffen wird im Hau- se selbst, die ein bis vier Kubik- meter aufnehmen kann und wo dann von außen her ein großer Baum durch diese Öffnung ge- hievt und gepflanzt wird. Natü- rich wird alles abgedichtet. Man kann diese Nische von innen abschirmen. Dieses Haus soll wachsen Dieses Haus ist dann kein Ge- bilde, das fix und fertig für einen gewissen Zweck, etwa Landes- gartenschau, geliefert wird, und damit ist basta, so wie man das heute normalerweise macht, wie man etwa auch den Eiffel- turm für die Weltausstellung ge- macht hat. Dieses Haus soll wachsen und soll von Jahr zu Jahr, von Generation zu Gene- ration interessanter und besser werden, schon allein durch die Tatsache, daß Bäume aus dem Haus wachsen und daß schon deswegen das Haus immer schöner und interessanter wird. Außerdem soll auch in Zukunft immer weiter verbessert wer- den, ohne daß das den Staat oder die Gemeinde etwas ko- stet, sondern Freude bringt. Das Ganze soll von einer viel höheren Warte aus gestartet werden, soll viel größere Di- mensionen bekommen als nur ein Wahrzeichen. Es soll wach- sen, und wenn die Leute begei- stert sind, dann wird das Haus auch wachsen, so ähnlich wie Kathedralen, Kirchen, Schlös- ser, an denen ja auch Ober Jahr- hunderte hinweg ständig ge- baut wurde und die immer bes- ser geworden sind. Bezahlt wird mit Enthusiasmus — nicht mit Geld. Etwas Menschliches, Natur- gerechtes kann nur dann ent- stehen, wenn es organisch wächst und ständig verbessert wird und wenn die Bevölke- rung, wenn die Menschen das erkennen und in ihr Herz ein- schließen. Gegenpol zur ratio- nalistischen Architektur Dann ist auch sehr viel Herz mit vorhanden, und das strahlt dann aus und das wird der Ge- genpol zur rationalistischen Ar- chitektur, zur herzlosen Archi- tektur, die uns umgibt. Dies wäre eine beispielhafte Tat für die Welt, die in Hamm entsteht. Das Haus soll ein Symbol werden gegen den Ra-