Hamm -so wie es war (2) Das Resümee der Autoren:,.Be- hörden und Geschäftswelt hatten den Aufschwung einiger leidlich erträglicher Jahre genutzt." Und dann auch die Kehrseite: Wohnungsnot. Arbeitslosigkeit. Hunger und Elend: die vielen Selbstmorde. die meisten von den Zeitungen folgendermaßen kom- mentiert: ..Des Motiv dürfte in wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu suchen sein." Ende 1930 er- hielten etwa 14 Prozent der Ham- mer Bevölkerung eine öffentliche Unterstützung. Esentstehen Baugesellschaften. die auch dem kleinen Mann zu einer menschenwürdigen Art zu leben verhelfen möchten: Die Hammer Gemeinnützige Bauge- sellschaft (HGB), die Siedlerka- meradschaft Hamm-Süden, die BauproduktionsgenossenschaftGe- meinwohl. Ihre Bauten lindern die schlimmsten Nöte der wohnung- suchenden Habenichtse. Der Leser erfährt interessante Einzelheiten über den Kurpark, die Ringanlagen und lernt, ihre Bedeutung für die Gegenwart zu erkennen. Der Blick richtet sich ebenso klar auf die sportliche Szenerie. auf die Entstehung des Tierparks (_Keine Rente war so schmal, daß nicht noch ein Scherf- lein für die Tiere daran gehangen hätte") aus Groschengeldern, auf Taubenvereine, Kaninchenver- eine, Schützen und Schützenfeste. auf die Geselligkeit an sich. Die hatte damals ihre große Zeit: Musik, Theater, Kabarettisti- sches, Konzert zum Kaffee und der gemütliche Plausch zur blauen Stunde oder beim Dämmerschop- pen gehörten zum bürgerlichen Brauch. Feldhaus, Buschkühle, Kaiserhof. sind die Namen, mit denen das urbane Flair verbunden war. Dann natürlich die Männer der Stunde: Dr. Eugen Schuler, Ge- schäftsführer der „Vereinigten Kaufmannschaft", seit 1929 Stadt- rat. Und Oberbürgermeister Josef Schlichter (1879-1952). Unter sei- ner Ägide verzeichnet die Chronik : Neue Wohnpolitik, Ankauf des Heessener Waldes, Grüngürtel, Sportstätten, Solbad, Schulen, Straßenbau, neuer Bahnhof. neues Postgebäude. neues Finanzamt. neues Polizeigebäude. Amtsge- richt, Knappschaftsgenesungs- heim. Ihm hat die Stadt Hamm vieles zu verdanken. Und dann ist da plötzlich das Jahr 1933. Das Jahr der „Macht- ergreifung". Da legten sich Brief- markensammler, Literaturfreunde oder Sängergruppen auf einmal einen nationalsozialistisch organi- sierten Vorsitzenden zu. um vor den Nazis ihre Ruhe zu haben. Ein Akt der „Camouflage". Das Buch: _Es kam auf die Geschick- lichkeit der Verantwortlichen an, ob man ohne störende Eingriffe tun konnte, was man wollte. Doch da. wo die Musen sprachen. wur- de mehr auf die Qualität des Ge- botenen als auf Parteidoktrin ge- achtet." Das Buch hütet sich jedoch, den Stab zu brechen, subjektiv zu ur- teilen, abschätzig zu werten. Es orientiert sich nach Art guter Ge- schichtsschreibung an nachweis- baren Fakten. Zum Beispiel, wie es ..clazu" kam: „Das von Jahren des Druckes und der Not niederge- beugte Volk, das sich in weiten Teilen zudem von seiner Ver- gangenheit abgeschnitten sah, schöpfte neue Hoffnung." Andererseits verhüllt es aber auch nicht: ,Einzelne Vorfälle (vor der Machtergreifung Anm. d. Red.) hätten allerdings schon da- mals anders gedeutet werden kön- nen." Und es stellt schließlich fest: _Die Menschen waren zugedeckt von der Riesenszenerie der Auf- märsche, Sonnenwendfeiern, Braunen Messen, Propaganda-Fil- men — zur Besinnung wollte nie- mand kommen." 8 Hamm wird von Soldaten einer amerikanischen Einheit erobert, Das Zeitdokument entstand bei den Kampfhandlungen im Bahnhofsgebaude HAMM — SO WIE ES WAR (2) kann uns dabei helfen, im Strom unserer Geschichte die Schleusen zu öffnen für eine Entwicklung, die morgen für unsere Kinder wiederum Vergangenheit ist. Dr. H. J. Schneider Die Bilanz schließlich in der Stunde Null: 55 Luftangriffe; 20.000 Sprengbomben, eine Unmenge Brandbomben. Zu bedauern sind 1.113 Tote durch Luftangriffe. Sach- schaden in Höhe von 120 Millionen Mark ist entstanden. Die Burger sind fest entschlos- sen, in solidarischer Gemeinschaft die Hinterlassenschaften der brau- nen Diktatur zu beseitigen. Im No- vember 1946 ruft der neue, demo- kratisch gewählte Oberbürgermei- ster Ferdinand Poggel seine Ham- mer auf: Jeder möge sich 20 Stunden lang am Trümmer-Besei- tigen beteiligen. Der OB ging sei- nen Freiwilligen, die wieder ein- mal, im wahrsten Sinne des Wor- tes „Hammer" waren, m it Schüppe und Hacke voran. Neuneinhalb Jahre später. beim Besuch des ersten Bundespräsidenten Theo- dor Heuss, dokumentiert die Stadt. „daß sie sich angeschickt hatte, ihre Zukunft zu gewinnen." HAMM — SO WIE ES WAR (2) ist ein Dokument. Pflichtlektüre für jeden, der im Bewußtsein der Kontinuität der Geschichte an der Gestaltung einer menschenwürdi- gen Zukunft mitwirken will. Denn nur die Kenntnis unserer Ver- gangenheit ist eine Bürgschaft für unsere gute Zukunft.