Schöpferisch und Kritisch Hermann Josef Berges - ein Hammer Autor und Publizist „Chefredakteur, geboren am 8. Mai 1903 in Hergenrath, Kreis Eupen, verheiratet mit Anne, geb. Beckmann, zwei Kinder, zahl- reiche Buchveröffentlichungen", das ist ein Auszug aus „Wer ist wer" unter dem Stichwort Her- mann Josef Berges. Seit mehr als 50 Jahren lebt der Publizist und Schriftsteller, der im deutschen Grenzraum bei Eupen geboren wurde und in Werl aufwuchs, in Hamm. Dem Westfälischen Kurier und dem Liboriusblatt prägte er als Chefredakteur den Stempel seiner journalistischen Arbeit und Auffassung auf. Schöpferisch wie eh und je, kritisch und interessiert deutete er in vielen Beiträgen die Erschei- nungen unserer Zeit, die er mit den Erfahrungen seiner fünfzig- jährigen Berufspraxis als Journa- list und Schriftsteller verknüpft und in einen größeren Sinnzu- sammenhang zu stellen weiß. Vor allem hat sich Hermann Josef Berges seinen urwüchsigen Hu- mor bewahrt — einen Humor, der fest in seiner westfälischen Hei- mat verwurzelt ist und die Leser seiner Bucher und Artikel zu ei- nem nachdenklichen, befreien- den Schmunzeln bewegt. Die neueste Arbeit, die Her- mann Josef Berges seinen Ham- mer Mitbürgern jetzt vorlegte, ist der im Droste-Verlag erschienene Band „Hamm — so wie es war" (siehe auch Seite 4). Zu seinem 70. Geburtstag vor zwei Jahren hat sich Hermann Josef Berges im Liboriusblatt unter der Ober- schrift „Ein liebes Leben lang" über sich selbst geäußert. Aus- schnitte daraus sollen den Lesern des HAMMAGAZIN ein Bild von dem bekannten Hammer Autor vermitteln: Zunächst wäre da einmal eine krumme Meinung geradezubie- gen, die mancher über mich hat, an deren Zustandekommen ich aber selbst schuld bin. Viele Le- ser, die in den letzten Jahren an meinen heiteren Geschichtsbü- chern „Die grüne Hose" und „In jeder Kiepe steckt ein Kauz" ih- ren Spaß gefunden haben, glau- ben, daß ich, der Autor, ein Aus- bund von Ausgelassenheit, eine Art von Tausendsassa in Sachen unbekümmerter Lustigkeit sein müsse. Nun, diese Meinung über mich mag so lange angehen, bis sie zum Zeitpunkt kommt, an dem ich begann, meine Kinderschuhe abzustreifen, um — wie es Peter Rosegger sagt — „die Lebensfan- fare miteigenem Atemzu blasen". Man verstehe mich aber nicht falsch, denn daß ich nach mei- nen Flegeljahren einen beson- ders hohen Grad von bewun- dernswerter Gesittung erreicht hätte, darf ich der Wahrhaftigkeit halber nie und nimmer behaupten. Daß ich nur „zufällig" im schö- nen Eupener Land zur Welt ge- kommen bin, muß der Ordnung wegen gesagt werden, denn ich habe als unverfälschter Sproß des bäuerlichen Münsterlandes zu gelten, ein Umstand, aus dem meine Freunde die mir eigene Vorliebe für Möppken, Panhas und Speckpfannkuchen erklären wollen. Gestehen muß ich, daß mir ein Blick in den „Westfäli- schen Himmel", wie man den mit Schinken, Würsten und anderen Herrlichkeiten beschickten Rauchfang oder Wiemen hierzu- lande zu nennen pflegt, auch heute noch eine Augenweide son- dergleichen ist, von der Zungen- labsal, die aus diesem Himmel kommt, gar nicht zu reden. Das darf ich ungeniert bekennen, weil ich von gelehrten Männern er- fuhr, daß der Weg zum weihe- vollen Geistesweben über das Materielle gettt. Philosophen ha- ben es unumstößlich behauptet, daß nichts im Geiste sei, was nicht zuvor in den Sinnen gewe- sen wäre. Ich war noch ein Wickelkind, als meine Eltern das Eupener Land verließen, um sich in Werl in einem aus Grünsandstein er- bauten Haus zu etablieren. Das Gebäude ist noch heute auf der Straße zu finden, die den merk- würdigen Namen „Bunte Kuh" trägt. Unweit davon liegt auch immer noch die recht kurz ge- ratene Bäckerstraße, auf der ein- mal sechs Bäckereien standen, die alle recht gut über die Runden gekommen sein sollen. Im klei- nen Geschäft am Kälbermarkt kaufte meine Mutter ein, und mir wehen noch heute die Gerüche um die Nase, die aus allen Win- keln des Ladens herankrochen: Kaffeeduft, Petroleumdunst, He- ringsgeruch, Gewürzaroma. Wie arm ist dagegen die sterile, tur- bulente Welt eines Selbstbedie- nungsgeschäftes von heute! Meine innere Entwicklung fing an, als ich eines Tages — war ich zehnjährig? — die verwandelnde Kraft des Lesens entdeckte. Es war wie ein stummer Rausch, der allemeinegrauen Erdentagehätte vertreiben können, wären mir sol- che überhaupt zubemessen ge- wesen. Natürlich war ich auch manchmal zerrissenen Herzens, wie es nun einmal Menschenlos ist, wenn etwa ein lieber Mensch, besonders die Mutter, plötzlich von dieser Welt geht. Die Segel meines Lebensschiff- leins hingen bedenklich schlaff, als ich zur endgültigen Berufs- suche ausfuhr. Die Inflation von 1923 hatte gerade ihre Fallgruben vollends aufgetan, und wir alle wandelten zwischen Wahnsinn .und Traum. Beständigkeit, Red- lichkeit, Sicherheit waren Fremd- worte geworden. In Milliarden- scheinen flatterte das Geld durch die Lande, insgesamt 500 Trillio- nen. Ich habe damals, wie viele andere, mir wesensfremde Er- werbstätigkeiten suchen müssen. Man wollte doch „über Wasser" bleiben, man wollte trotz allem an die Zukunft glauben. Dann aber kam 1924 für mich eines der magisch-realen Begeb- nisse, die einem Dasein plötzlich einen neuen Sinn verleihen. Über Nacht erhielt ich in einer Lokal- redaktion die Möglichkeit, nach Herzenslust schreiben zu kön- nen. Schreiben, das war es! Schon als Elfjähriger hatte ich mich an Versen versucht und Abenteuerliches unternommen, um sie gedruckt zu sehen. Wem's gefällt, mag Näheres darüber in meinem heiteren Geschichten- buch „In jeder Kiepe steckt ein Kauz" nachlesen. Mich hat die Freude, mit dem geschriebenen Wort zu arbeiten, nicht mehr los- gelassen. 13