HAivnito;c3AzzyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA / M k zyxwvutsrqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA I I . AK AI M S Alk Mk Alln • i• IN Joachim Heinzel Das Genie Eine satirische Betrachtung — ohne gewollte Ähnlichkeiten Schon der Ort der Ausstel- lung bezeugt ihre Wichtigkeit. Nur einer Handvoll Privilegier- ter gelingt es, mit ihren Werken in die geheiligten Hallen des städtischen Museums vorzu- dringen, ein großer Teil der Kunstschaffenden muß mit dem Ausstellungssaal des Rathau- ses vorlieb nehmen, doch selbst dort wird nicht beliebig Zutritt gewährt, die meisten Künstler sehen sich gezwungen, ihre Ar- beiten in Räumen darzubieten, über die, vornehmlich anderen Zwecken vorbehalten, der Hauch der Kunst nur ab und an weht und nur gelegentlich ein wenig seiner überfeinen Spuren hinterläßt. — Heute aber emp- fängt man einen Auserwählten. Nicht allein die Lokalität, auch ein anderes Indiz verrät es. Der Herr Oberstadtdirektor, zu diesem Zweck eigens früh- zeitig aus dem Urlaub zurück- gekehrt, begrüßt die Gäste, in ihrer Erlesenheit ebenfalls ein wichtiger Hinweis auf die Be- deutung des Geschehens, per- sön lich. Und noch ein weiteres, gera- dezu untrügliches Zeichen läßt die Exclusivität des Ereignisses deutlich erkennen. Der Herr Museumsdirektor, ein Mann von stattlicher Figur und sehr gepflegtem Äußeren, hält die Eröffnungsrede selbst, und er erwähnt nicht ohne Stolz, daß der Künstler, seinerzeit als Ver- sicherungskaufmann in einer der ortsansässigen Banken tä- tig, sich gerade hier nicht nur seines innersten Strebens be- wußt wurde, sondern auch die Möglichkeit erkannte, seinem eigentlichen Drange nachzu- kommen und zu diesem Zwecke das hiesige Städtchen etliche Jahre zu seinem Do- erkor und gerade in dieser Zeit und in der Gewißheit, durch solch künstlerisches Schaffen seinem Ziele mit gro- ßen Schritten näherzukommen, seine wohl bisher größten Wer- ke schuf. Arbeiten, die hart- näckig und voller Leidenschaft immer wieder soziale Mißstän- de anprangerten, ein Anliegen, mit dem sich der Künstler im- mer wieder beschäftigt habe, 8 und das der oberflächliche Be- trachter auch heute noch schnell als das zentrale Leitthe- ma erkenne. — Der Herr Direk- tor, nach einem kurzen Räus- pern, geht zu der mit Nr. 1 bezif- ferten und mit 40 000 DM aus- gezeichneten Arbeit des Künst- lers. Der getrocknete Salat Sinnbild des unschätzbaren Wertes der Natur, gedacht als Warnung vor ihrer endgültigen Ausbeutung. Zustimmendes Nicken. Die Nr. 2 9000 DM Der Stuhl mit dem abgesägten Bein Protest gegen die Künstlich- keit und Perfektion des Alltags. Man versteht. Nr. 3 12 000 DM. Vier Bälle im Sand Darstellung des Verhaltens der Menschen zueinander. Sehr interessant. Nr. 4 23 000 DM. Das Drahtgestell für ein Doppelbett Illustration der Ausbeutung des weiblichen Geschlechts durch die Gesellschaft. Nur mißgünstige Kritiker be- zeichneten diese Arbeit als „Drahtware", der Herr Direktor hebt ein wenig seine Stimme, der richtig orientierte Kunst- sachverständige wisse, das Werk symbolisiere die Frau als Ware in unserer Gesellschaft, das Profitdenken, dem nichts heilig sei. Ausgezeichnet. Fast schämt sich Fräulein An- nette, Tochter des Herrn Pfar- rers, früher eng mit dem Kunst- ler liiert, jetzt aufmerksam zu- hörende Kunststudentin, ein wenig, als sie sich ihrer eigenen Interpretationen erinnert; die wahre Motivation künstleri- schen Schaffens, durchaus nicht leicht zu eruieren, wurde sie doch selten so schlecht er- kannt; niemals hätte sie in die- sem Mann, dem sie sich jahre- lang hingebungsvoll und auf- opfernd dargebracht hatte, ei- nen Anwalt der Unterdrückten vermutet, ja, sie war sogar eines Tages so weit gegangen, in die- sem Menschen ... sie wagt nicht, diesen Gedanken noch einmal zu Ende zu führen. Wie die Ausführungen des Herrn Direktors eindringlichst verdeutlichen, verboten sich derartige Überlegungen nun- mehr von selbst. Und sie ist bereit zu lernen. Und es überrascht sie kaum noch, daß sie auch den Gehalt seines Meisterwerkes, in der Mitte des Raumes angeordnet, zu keinem Zeitpunkt, den Erklä- rungen entsprechend, erfaßt hat. Eine Zusammenfassung der diversen sozialen Anliegen, wie soeben vom Herrn Direktor, dessen Stimme sie aus ihren Erinnerungen hochfahren läßt, laut und deutlich zur Kenntnis gegeben wird; klarer läßt sich die Partei der Rechtlosen nicht ergreifen. Ein Stuhl ohne Lehne, ein angesägter Tisch, ein Bett mit fehlendem Kopf- ende, eine zersprungene Vase, alles umspannt mit einer schwarzen Schnur, die, an vier Sonnenschirmständern, den Himmelsrichtungen entspre- chend aufgestellt, befestigt, mit einer Schleife zusamme,ngehal- ten wird, was es ermöglicht, sie enger oder lockerer zu spannen und somit gegebenenfalls Ver- änderungen selbst zu bewir- ken, wie der Herr Direktor, es gleichzeitig demonstrierend, soeben erklärt. Der Vorschlag des Herrn Di- rektors, eben dieses Meister- werk, dessen Preis von 75 000 DM selbstverständlich nicht ausdrücklich erwähnt zu wer- den braucht, im Interesse der Allgemeinheit zu erstehen und dem örtlichen Museum zur Ver- fügung zu stellen, trifft auf leb- hafte Zustimmung und sicher- lich wohlverdienten Applaus. Eine unbürokratische Ent- scheidung sämtlicher anwe- sender Stadtväter, die Anre- gung aufzugreifen, findet glei- chermaßen Anerkennung wie die spontan vorgetragene Bitte derselben der Stadt zusätzlich ein bleibendes Zeichen zu set- zen. Ein Wunsch, zu dessen Erfül- lung sich der Künstler spontan bereit erklärt.— Und in der Tat, bereits am nächsten Morgen beobachtet man ihn raisonierend — resü- mierend — konstruierend. — Er ist mit Fleiß bei der Sache, bear- beitet Material, verwirft es wie- der, bearbeitet es erneut, Ober- legt, bearbeitet, bearbeitet, be- arbeitet.— Nach Ablauf einer Woche ist es soweit Der Künstler ist fertig und mit seinem Werk, mit drei Millionen DM, dem Sozial- und Bildungs- fond entnommen, bewertet, endlich zufrieden, so daß es nun der Öffentlichkeit präsen- tiert werden kann, wie es denn auch drei Tage später in Anwe- senheit der .Honoratioren und in allerfeierlichster Form, dem Ereignis angemessen, ge- schieht. Die Wirkung ist frappierend. Man ist sprachlos. Der Künstler hat ein überdi- mensionales hölzernes Brett geschaffen, das er von der Brücke, auf der er sich zum Zwecke der Übergabe befindet, mittels eines Seiles in den dar- unter her fließenden Fluß hän- gen läßt, um auf diese Weise zu symbolisieren, wie einer Ver- besserung der sozialen Zustän- de immer wieder Hindernisse in den Weg gelegt werden, und er hat hierzu nicht einfach ein Brett mit vier Ecken gefer- tigt, sondern — welch ein Sym- bol und welch ein Genie — das Brett ist rund Joachim Heinzel (Diplom- psychologe) ist Leiter der Städ- tischen Erziehungsberatungs- stelle Hamm.