Der treue Bote von Oftrvennemar. Fine erzanlung aus alten Tagen bet Burg Mark G eorg Wilhelm Vogel. 0 0 0 Pea .6 % nag < 0 0 .0 II. Fortsetzung Das Hammer-Stadtschloß (es stand auf der jetzigen Besit- zung des Herrn Justizrat Fun- ke), welches die nordöstliche Ecke der Festung flankierte, sollte nach seinen Angaben neu entstehen. Allerlei Pläne über eine moderne, den Wir- kungen der neueren Schußwaf- fen besser trotzende Festung Hamms und der Burg Mark wa- ren in der Festung begriffen, aber alles wurde plötzlich ver- schoben, und hinaus ging's wieder in Unruhe und Kampf. Als der Früh ling über die Berge der Haar stieg und die Oster- glocken von Mark und die de's Zisterzienser-Klostes Kentrop ihre Klänge ertönen ließen, wurde es wieder still auf dem Hugel. Jeder kehrte zur alten Hantierung zurück und man gedachte des verschwunde- nen, geräuschvollen Lebens in den Räumen der Burg bald wie eines Traumes. Der Kaplan erschien jetzt sel- tener auf dem Lichtberge. Da- für besuchte aber Anna um de- sto häufiger seine Schwester in der Burg. Sie fand es zu behag- lich in der gemütlichen Woh- nung, in welcher ein ewiger Friede zu herrschen schien. An Sonntagnachmittagen, oder wenn es sonst die Geschäfte des Kaplans erlaubten, las die- ser den beiden vor, und auch Gottjohann beteiligte sich an den geistigen Genüssen, die dort in reichlichem Maße gebo- ten wurden. Eine ganz beson- dere Freude erregte es, wenn Schwester Ursula die Laute von der Wand nahme und zu ihren wehmütigen Tönen kleine Volkslieder sang. Laute und Stimme paßten ganz vorzüglich 20 zu einander, und es währte nicht lange, als auch Anna sich in der Musik versuchte. Ein durchziehender Gaukler hatte sich mit seiner Bande einst in der Nähe des Marker Pastorats niedergelassen und der Ursula für einen kleinen Betrag das In- strument aufgeschwätzt. „Was soll ich mit der Laute, wenn ich sie nicht spielen kann", hatte sie gesagt. Und da mußte der Spielmann, der seines Alters wegen die Kunst doch nicht mehr lange hätte ausüben kön- nen, sich herbeilassen, gegen eine weitere Vergütung noch die Geheimnisse der Grifftabel- le und der Begleitakkorde preis- zugeben. Ursula glich in vielen Stücken ihrem Bruder, nament- lich aber darin, daß bei ihr schon alles halb vollendet er- schien, sobald sie es unter die Hände nahm, und so hatte sie sich in kurzer Zeit bei ihrem al- lerdings mehr als bescheide- nen Publikum den Ruf einer be- rühmten Lautenspielerin erwor- ben. Das Spiel diente täglich mehr zur Belebung unseres kleinen Kreises, und wenn Na- del und Schere ruhten, bildete der Gesang eines Psalms oder das von Paulus verdeutlichte: „Herr Gott, dich loben wir!" wel- ches bald im Wechselgesang erklang, den Licht- und Schluß- punkt des Abends. Denn der Abend brach häufig herein, ehe man sich trennte, aber Anna brauchte den Weg von der Burg zur elterlichen Wohnung in der Dunkelheit nicht zu fürchten, denn Gottjohann stellte sich je- desmal mit größter Pünktlich- keit ein, um seine junge Herrin nach Hause zu geleiten. So mochten ungefähr fünf Jahre verflossen sein, als Graf Gerhard plötzlich und unerwar- tet mit einigen seiner Getreuen die Burg Mark aufsuchte. Es herrschte wieder große Freude im Dorfe und namentlich auf dem Lichtberge, den der Graf mehrere Male mit seinen Besu- chen erfreute. Er mußte wohl das Bedürfnis haben, sich mit den erfahrenen Bauern einge- hender als sonst über die Ver- hältnisse des Landes zu unter- halten. Sigurd war beständig in seiner Nähe, und des Grafen Liebe zu dem ernsten Jüng- linge schien eher zu- als abge- nommen zu haben. Sigurd hatte diese Liebe aber auch wohl verdient. Er war seinem Herrn bis zum Tode ergeben, hatte in den Schlachten stets an seiner Seite gefochten und ihm sogar einmal in der Nähe Kle- ves das Leben gerettet. Ein fanatischer, holländischer Räu- berhauptmann, namens Harlin, der mit seiner Bande im Dienste des Feindes stand, war mit einer Axt auf den Grafen einge- drungen. Gerhards Pferd, durch einen Fehltritt zu Fall gebracht, konnte sich nicht schnell genug erheben. Harlin wollte schon zu einem vernichtenden Schlage ausholen, als Sigurds Schwert Harlins Stahlkappe spaltete, sein linkes Ohr abtrennte und sich in die Schulter des Mannes vergrub. Der Getroffene brüllte die gräßlichsten Flüche, aber im weiter tobenden Kampfe hatte man ihn bald vergessen. Seit jenem Tage war der Graf seinem Knappen besonders gewogen und ließ ihn selten aus seiner Umgebung. Sig urds Wiedersehn m it Anna gestaltete sich wesentlich anders als bei der ersten Heimkehr. An die Stelle der kindlichen Ver- trautheit war zwischen den bei- den eine etwas scheue Zurück- haltung zu bemerken. Anna war von Jugend auf ein fröhliches, frisches Mädchen gewesen, aber daß sie sich zu einer so lieblichen Menschenblume ent- wickeln würde, wie Sigurd sie fand, hatte für ihn etwas Über- raschendes und Blendendes, so daß er ihr nur unter tiefem Erröten die Hand zur Begrü- ßung geben konnte. Und war es etwa bei Anna anders? Auch sie schaute mit ihren klaren Kin- deraugen die hohe Gestalt ein wenig schüchtern an, und es dauerte einige Minuten, wäh- rend welcher sie schweigend nebeneinander gingen, bis sie den alt gewohnten Ton der Unterhaltung wiederfanden. „Wie groß du geworden bist!" sagte Sigurd endlich, seine frü- here Mitschülerin von der Seite betrachtend. meinen Gedanken schwebtest du mir bis jetzt als ein lustiges, halb erwachsenes Kind vor, und nun gehst du so ernst und stattlich daher, daß ich meine frühere Gespielin bewundern muß." „Hast du denn unserer zuweilen gedacht?" fragte sie ihn schel- misch ansehend. „Gewiß habe ich das", erwiderte er unbefan- gen. „Auf den Tournieren in Köln und Kaiserswerth, sah ich viele Frauen und Mädchen, und da habe ich oft Vergleiche zwi- schen ihnen und dir angestellt." — „Und die fielen wohl sehr zu meinen Ungunsten aus!" warf sie lächelnd dazwischen. „Das nicht", versicherte er treuher- zig. „Ich konnte nie Vertrauen „In zu ihnen fassen. Sie redeten und kicherten ohne Unterbre- chung, und wenn mir ein Eichenkranz als Belohnung zugefallen wäre, hätte ich ihn am liebsten aus deiner Hand genommen." Anna schwieg etwas betroffen. „Aus meiner Hand," fragte sie sich. „Und dann," fuhr Sigurd fort, „war ich im Geiste bei euch, wenn ich in der Nacht die Wache hielt. Wie oft habe ich die Gestirne unse- res Kaplans gesucht und mir gesagt: Nun sehen die Lieben in Mark vielleicht auch zum Him- mel empor, und unsere Blicke treffen sich auf den von euch und mir geliebten Sternen. In solchen Stunden meldete sich dann auch das Heimweh, weni- ger nach dem Hausmeister, als nach dem Lichtberge. Denn bei euch habe ich mich doch am meisten zu Hause gefühlt. Aber ich bin nun ein Kriegsmann geworden und passe wenig mehr in euer Stilleben hinein. Ich muß mich von der Heimat losreißen, wenn ich anders glücklich werden will. Zum Landmann wäre ich kaum noch zu gebrauchen, und doch könnte ich mich nicht ewig dem Kriegshandwerke verschrei- ben. Es ist hart und rauh und birgt ein Meer von Unruhe in sich. Oft sehe ich recht dunkel in die Zukunft, und dann kom- men auch wieder Zeiten, in denen sie mir hell erglänzt, voll Ehre und Glück. Ich sprach gestern mit unserem lieben Kaplan über den Zwiespalt in meiner Seele. Er sagte, daß unser Herz erst dann ruhig wer- den würde, wenn es ruhte in Gott. Aber er hat gut reden. Ansprüche an diese Welt stellt er nicht mehr. Sein Sinnen ist nur auf das Ewige gerichtet, und wenn irdische Gedanken sich ihm nähern wollen, eilt er an das Grab seiner Elisabeth, grübelt über die Vergänglich- keit aller, auch der schönsten Schöpfungsgebilde nach, und der Friede hält wieder Einzug in sein Herz. Aber unsereins ver- langt noch etwas von der Welt, und ganz ruhig bin ich durch seine Ausführungen nicht geworden." Anna hatte Sigurds Worten aufmerksam zugehört. Neu war ihr seine äußere Erscheinung gewesen, neu waren ihrjetzt die Aufschlüsse, welche er Ober die Vorgänge in seinem Innern gab, und sie konnte sich des- halb nicht sofort zu einer einge- henden Erwiderung entschließen. (Fortsetzung folgt)