S Der treue Bote von Oftwennemar. Elne Erzanlung aus alten Tagen ber Burg Mark oon 6eug Mi l l hei m Vogel . nigte die Obliegenheiten des alten Amtes mit denen des neuen in seiner Hand. So fand ihn Graf Gerhard bei der Übernahme der Burg um 1411. Er erkannte in ihm bald einen Mann nach seinem Her- zen, und wir haben schon im Eingange unserer Erzählung gehört, wie die beiden zueinan- der standen. Der Graf ordnete an, daß der Kaplan seinen eigenen Haus- stand führen solle, und Paulus bezog nun mit seiner Schwe- ster Ursula, die damit endgültig aus dem Dienste in der Marker Pfarre schied, die Räume, wel- che einst für ihn und seine Eli- sabeth bestimmt waren. • 801.3,017 ...Pm troy 1.00. Ehe wir unsere Geschichte weiter verfolgen, müssen wir den geneigten Leser noch mit einigen anderen Personen nä- her bekannt machen, denen wir bisher nur flüchtig oder Ober- haupt noch nicht begegnet sind. Da tritt uns zuerst der Lichtberger entgegen, der auf dem Lichtberge (später Sand- brink, jetzt Sandknapp gehei- ßen) und in den angrenzenden Gemarkungen von Ostwenne- mar ein großes Bauerngut be- saß. Er war ein wohlhabender Mann von echt westfälischer Denkungsart und seinem Herr- schergesch lechte treu erge- ben. Seine Frau hatte er bei An- nas Geburt verloren, und seit der Zeit führte seine Schwester ihm den Haushalt. Von dem zahlreichen Gesinde, das auf seinem Hofe Beschäftigung fand, stand ihm ein Knecht be- sonders nahe. Es war der Sohn einer entfernten Verwandten, die in Dinker längere Zeit als Witwe gelebt und ihm einige Wochen vor ihrem Tode ihr ein- ziges Kind ans Herz gelegt hat- te. Den Namen ihres Mannes, der ein Fremdling gewesen war, kannte er nicht. Der Sohn wurde einfach „Gottjohann von Ost- wennemar" genannt. Er selbst fand später diesen Namen sehr schön, und hatte deshalb nie- mand Veranlassung, etwas dar- an zu ändern. Gottjohann war ein gutherziger, gehorsamer Junge. Von kurzem Oberkör- per, aber mit desto längeren Beinen ausgerüstet, hatte er schon früh etwas Riesenhaftes an sich. Trotzdem sein Gang schleppend war, konnte man oft eine außerordentliche Be- hendigkeit an ihm bewundern. Sein nicht unschönes Gesicht zeigte zuweilen einen teil- nahmslosen Ausdruck, sah man aber in seine klaren, grau- I. Fortsetzung Eines Abends sagte er zu sich: „Ich will mich dem geistli- chen Berufe widmen!" Und als der Graf wieder einige Tage auf der Burg weilte, setzte er sich von seinem Wunsche in Kennt- nis, indem er hinzufügte, daß er durch das Studium sich seiner angestammten Herrschaft kei- neswegs entfremden wolle, sondern ihr als Burgkaplan nur inniger zu dienen gedenke. Der gute Graf gab zu dem Plane sein Einverständnis, und bald sah man Paulus auf der Prie- sterschule in Munster, wo er mit Ernst und fast übergroßem Ei- fer sich für seinen neuen Wir- kungskreis vorbereitete. Der Graf erkundigte sich mehrfach nach seinen Fortschritten, be- stritt die notwendigen Kosten, und Paulus freute sich, ihm schon nach zwei Jahren über die erfolgte Weihe berichten zu können. So gings denn wieder der Heimat zu. Der alte Pastor in Mark jubelte über seinen neuen Amtsbruder, von dem er wußte, daß er Hand in Hand mit ihm wirken würde. Auf der Burg hat- te ein Rechnungsgehülfe aus Altena die Schreibgeschäfte besorgt. Dieser wurde zurück- berufen, und Paulus verei- blauen Augen, mußte man sich unwillkürlich sagen: Hinter die- sen lichten Fenstern wohnt ein tief gegründetes, liebereiches Herz! Und so war es auch! Wohl nie ist ein Knecht so für seine Herrschaft eingetreten und hat mit solcher Freudigkeit sein Leben für sie aufs Spiel ge- setzt als unser treuer Gottjo- hann. Schon als Junge hatte er die schwierigsten Gänge verrich- ten müssen. Bei Belagerungen von Hamm brachte er für seinen Herrn und auch für den Grafen Briefe in die Festung. Ge- schmeidig wie ein Eichhorn, war es ihm möglich gewesen, die höchsten Bäume und die steilsten Mauern zu erklim- men. Oft waren ihm die Feinde auf den Fersen, aber immer entging er ihren Händen. Und wenn er nach Hause kam, rühmte er sich nicht. Seine Heldentaten fanden bei ihm selbst keine Anerkennung. Er sah sie nicht als solche an, und er meinte oft in rührender Demut, andere würden sei- nen Auftrag sicher noch besser ausgeführt haben. An Anna sah er hinauf, wie zu einer Heiligen, aber je mehr die bei- den heranwuchsen, desto grö- ßer kam ihm der Abstand vor, der sie von einander trennte. Anna hatte schon früh beim Ka- plan Paulus Unterricht im Le- sen und Schreiben, den damals noch sehr seltenen Künsten, und Gottjohann und Sigurd, welcher auf der Burg wohnte, nahmen an ihm teil, obgleich die beiden Knaben zehn Jahre älter waren als das Mädchen. Wir haben den jungen Sigurd bereits beim Einzuge des Gra- fen ken nen gelernt. Auch er war eine Waise, stammte aus der Umgegend Marks und hatte, weil er ein feiner Knabe war und große Neigung für das Krieger- leben zeigte, beim Hausmeister an Kindesstatt Aufnahme ge- funden. Der Unterricht wurde meistens auf dem Lichtberge erteilt, und lange Zeit sah man den Kaplan mit dem Sigurd zur Seite von der Burg her den Geithebach überschreiten und dem Ziele ihrer Wanderung zu- streben. Paulus hatte eine lie- benswürdige Art zu unterrich- ten. Trotz des Altersunterschie- des wußte er sich bei seiner kleinen Schar für jeden ver- ständlich zu machen. Die Lehr- gegenstände blieben allen in- teressant, und die schnelle Auf- fassungsgabe der Anna setzte ihn oft in den Stand, seine Vor- träge so einzurichten, als wenn er gleichaltrige Schuler vor sich gehabt hätte. Er machte sich daran, einen Lehrplan auszuar- beiten, um in einer bestimmten Zeit einen jeden möglichst weit zu fördern. Außer den elemen- taren Fächern hatte er darin auch die Astronomie aufge- nommen, eine Wissenschaft, die zwar damals noch in den Kinderschuhen steckte, die aber dennoch auf manche mit Himmelssehnsucht erfüllte Herzen einen unwiderstehli- chen Reiz ausübte. Seine Schu- ler, besonders der Gottjohann, folgten mit Interesse der Ster- ne, die ihnen der Kaplan an der Hand einer in Munster ge- schenkten Him melskatze zu er- läutern suchte. An dem kirchli- chen Unterricht in der Gemein- de, den nach wie vor der alte Pastor in Mark als sein gutes Recht beanspruchte, nahm das Lichtberger Kleeblatt außer- dem teil. So verging eine längere Zeit. Die beiden Jünglinge waren be- reits der Schule entwachsen. Gottjohann mußte außer den Botengängen, die nun einmal für ihn bestimmt blieben, viel in der Ackerwirtschaft helfen. Si- gurd dagegen hatte in den Pfer- deställen der Burg zu tun. In je- dem Sattel fühlte er sich bald zu Hause, und weil er kräftig und geschickt war, sandte man ihn, den Achtzehnjährigen, schon mit einer Anzahl Knechte und Pferde dem Heere des Grafen nach, welches sich in der Duis- aufhielt. burger Schlechtes Gesindel machte zu der Zeit beständig die Landstra- ßen unsicher, und Sigurd fand bald Gelegenheit, sich im Kampfe mit diesem die ersten Sporen zu verdienen. Der Graf behielt ihn in seiner Nähe, und als er in einem Gefechte Mut und Tapferkeit bewiesen hatte und vom Grafen ausgezeichnet worden war, kannte sein Ehr- geiz -kaum noch Grenzen. Und so finden wir ihn als Knappen an der Seite des Grafen wieder, als dieser den im Anfange die- ser Geschichte geschilderten Einzug in Mark hielt. Gegend Man hatte allgemein gehofft, der Graf Würde dauernd in Mark verbleiben, aber die noch schwebenden Wirren in der Po- litik und sein unruhiger Geist lie- ßen ihm keine Ruhe. Und doch wäre alles danach angetan ge- wesen, ihm den Aufenthalt da- selbst angenehm zu machen. (Fortsetzung folgt) 17