Ein Schauerroman? — Ober die sogenannte Trivialliteratur werden ausgewachsene Doktor- arbeiten geschrieben. Wer sich's indes einfallen läßt, diese harmlosen Produkte nur zum Vergnügen zu lesen, der riskiert schiefe Blicke: „Den Kitsch fin- den Sie schön? Aber erlauben Sie mat ...!" HAMMAGAZIN stöberte eine Erzäh- heimatgeschichtliche lung auf, die im Jahre 1909 von dem Hammer Fabrikanten Ge- org Wilhelm Vogel verfaßt wur- de. Der Titel „Der treue Bote von Ostwennemar" erweckt Heimatgefühle, der Untertitel „Eine Erzählung aus alten Ta- gen der Burg Mark" läßt Neu- gier aufkommen. Gegen den Neudruck im HAMMAGAZIN läßt sich vieles ins Feld führen — vielleicht aber auch einiges dafür? Als Verwalter des damals noch kleinen Hammer Mu- seums hat Georg Wilhelm Vo- gel von 1892 bis 1915 viel Idea- lismus bewiesen und sich um seine Vaterstadt verdient ge- macht. Ihm, dem Autor mit dem zweigeteilten Tirpitz-Bart, des- sen Villa am Ostentor an der Stelle der heutigen Städtischen Musikschule stand, gilt der Gruß aller derer, die den „Treu- en Boten von Ostwennemar" immer schon gern einmal lesen wollten! Es war im Jahre 1415. Eine helle Frühlingssonne sandte ih- re milden Strahlen auf die trauli- chen Gefilde der schönen Graf- schaft Mark hernieder. Die wei- ten Wiesengründe hatten ihr goldig schimmerndes Festkleid angelegt, das aus unzähligen Blüten des Löwenzahns, der Dotterblume und des Hahnen- fußes gewebt war. Die Vogel lie- ßen ihre schönsten Lieder er- schallen und es herrschte in der Natur nur Freude und Leben. Aber auch die Menschen hatten ihre Arbeitskleider abgelegt, und mit freudigen Gesichtern sah man sie sonntäglich ge- schmückt in großen Haufen nach der Burg ziehen. Sie woll- ten dort ihren geliebten Grafen Gerhard empfangen, der nach einem erfolgreichen Feldzuge sich diesen schönen Frühlings- tag ausersehen hatte, um in die märkische Burg einzuziehen und daselbst von neuem seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Bald verkündete lauter Hör- nerklang das Herannahen der gräflichen Heeresschar. Sie Der treue Bote von Oftwennemar. eine erzablung aus alten tagen Ur Burg Mark DDfl eorg Wijeim Vogel. = a = 60ters100. Drug nab Perin yea CuSels natimair. 1909. hatte, aus dem Cleverlande kommend, den Weg durch münstersches Gebiet gewählt und gelangte über Ontrop in die heimatlichen Gefilde. An ihrer Spitze ritt Graf Gerhard auf ei- nem kräftigen, gepanzerten Pferde, das er mit leichter Hand zu regieren schien. Ein Har- nisch, der den Reiter ganz be- deckte, gab seiner Erscheinung etwas Gebietendes, aber nichts Freundlich Schwerfälliges. schauten seine hellen, blauen Augen auf die jubelnd heran- stürmenden Markaner, und er suchte ihnen seine gepanzerte Faust, die einer nach dem an- dern zu ergreifen strebte, nicht zu entziehen. Neben dem Gra- fen ritt ein schlanker, blondlocki- ger Knappe, der das Fähnlein des Zuges führte. Auch er und sein Schimmel trugen eine ei- serne Rüstung, und das Volk war nicht wenig erstaunt, den ihm wohlbekannten jungen Si- gurd so nahe an der Seite ihres Herrn zu sehen. Als die Reisi- gen den Burghof erreicht hat- ten, sprang Graf Gerhard ela- stisch aus dem Sattel und be- grüßte zunächst den auf ihn zu- eilenden Kaplan Paulus, der mit dem Käppchen in der Hand sei- nen Herrn herzlich willkommen hieß. Man sah es der freundli- chen Begegnung an, daß zwi- schen den beiden Männern ein inniges Einverständnis herrsch- te, und daß das Band der Freundschaft sie miteinander verknüpfte. Dann ging der Graf auf den Lichtberger zu, der in Begleitung seiner einzigen, zwölfjährigen Tochter Anna er- schienen war, und der es sich nicht hatte nehmen lassen wol- len, als getreuer Untertan sei- nem geliebten Herrn die auf- richtige Freude über die glückli- che Rückkehr auszusprechen. Der Graf richtete noch an man- che freundliche Worte, welche die warme Teilnahme an den großen und kleinen Freuden und Leiden seines Volkes er- kennen ließen. Der Pfarrer von Mark, zu dessen Bezirk die Burg gehörte, war beim Empfange nicht zugegen. Ein schweres Gichtleiden fesselte ihn schon seit geraumer Zeit an das Haus, und er hatte deshalb Kaplan Paulus beauftragt, dem Landes- herrn seinen Willkommensgruß zu übermitteln. Der Graf trat nun in Begleitung des Kaplans in die Burgkapelle, um dem Höchsten für die glückliche Heimkehr zu danken. In die Burg selbst trieb's ihn nicht. Er hatte weder Weib noch Kind, und darum verbrachte er die Zeit seines Aufenthaltes im hei- mischen Schlosse in der Gesell- schaft geliebter Bucher, die er sich meistens von Paris mitge- bracht hatte. Diese Stadt war wiederholt das Ziel seiner Rei- sen gewesen, und da er ein Ken- ner der damaligen Literatur war, so gelangte seine Bibliothek schnell zu großem Ansehen, na- mentlich auf historischem und religiösem Gebiete. Auf dem Burghofe entwickel- te sich bald ein fröhliches Trei- ben. Die Ritter und Lands- knechte traten unter das Volk. Alte Bekanntschaften wurden aufgefrischt und neue ange- knüpft; dabei machte in mächti- gen Humpen das reichlich ge- spendete, echte Hammer Bier die Runde, Herzen und Zungen zu lustigem Geplauder begei- sternd. Gleich nach der An- kunft hatte Sigurd, der sein Roß noch am Zügel führte, sich dem Lichtberger und seiner Tochter genähert. Er begrüßte seinen zweiten Pflegevater, wie er ihn nannte, mit kindlicher Freude, und als Anna das stolze Pferd bewunderte, hatte er schnell beide Bügel nach der linken Seite geworfen und das Kind in den Sattel gehoben. Der hohe Sitz schien der Anna nichts neues zu sein. Mit Sicherheit er- griff sie die Zügel und spornte zur Freude der Anwesenden und zum Stolze des Vaters das schmucke Tier an, mit ihr einige Volten zu machen. — Es gibt doch nichts Schöneres, als wenn Menschen, die einander lieb haben, sich wiedersehen. Man konnte sich nicht trennen, und noch in den späten Nach- mittagsstunden saßen kleinere und größere Gesellschaften im schattigen Burghofe, um sich von den Ereignissen der letzten Zeit und den Abenteuern des Feldzuges zu erzählen. Erst ge- gen Abend, als der Wächter vom Burgfried herab in lang gezoge- nen Horntönen das Ruhesignal erschallen ließ, begaben sich auch die Seßhaftesten nach Hause. Die Tore wurden ge- schlossen, die Zugbrücke auf- gewunden, und bald verbreitete sich tiefe Stille über das im erglänzende Mondschein Schloß. Fortsetzung folgt 17