HAINAGAZIN das Haus dahin gestellt haben. Es gibt einen Leitsatz: „Alles, was waagerecht ist, gehört der Natur. Nur was senkrecht ist, kann der Mensch für sich in An- spruch nehmen." Wir müssen der Natur Terri- torien zurückgeben, die wir ihr widerrechtlich weggenommen haben. Das ist ein Handel des Friedenspaktes mit der Natur. Warum soll nicht Hamm ein Beispiel dafür geben? Die Kohlenwäsche ist hervor- ragend dafür geeignet: sie ist solide, aus Beton, hat große Be- tontrichter. Sie kann Erde auf- nehmen, und man kann große Bäume darauf pflanzen. Manifestation der romantischen Sehnsucht • Es ist sehrwichtig,daß auf dem Dach kein Glashaus entsteht, denn die Geradlinigkeit des Glashauses ist von weither sichtbar. Die Kohlenwäsche ist wichtig für die Menschen, die dieses Haus von weit weg se- hen, denn es wird eine Burg, es wird eine Manifestation der ro- mantischen Sehnsucht der Menschen. Sie sehen von weit her Bäume, die auf verschiede- nen Ebenen die Landschaft überdachen, anstatt eine gerad- linige Skyline, wie wir sie bis zum Überdruß überall sehen. Das Häßlichste an einem Haus ist die Geradlinigkeit, die geo- metrische Gerade, wo insbe- sondere die gerade Skyline am ärgsten und am härtesten uns überfällt und uns terrorisiert. - Hierzu möchte ich noch et- was anderes demonstrieren, nämlich, daß Bäume auch aus einer senkrechten Wand wach- sen. denn was uns noch terrori- siert und worunter wir noch lei- den, sind die Senkrechten, senkrecht gebaute Wände. Noch nie ist der Mensch in sei- ner Geschichte — er hat tau- sende von Jahren auf dieser Er- de gelebt — so konfrontiert worden mit senkrechten Wän- den, in denen Menschen woh- nen, senkrechte Wände, in de- nen Menschen wie Sardinen übereinandergeschichtet sind. Der Baum wächst normaler- weise in der Ebene, später in Gärten und Parkanlagen. Neu- erdings — und da habe ich viel mitgeholfen —auf den Dächern der Häuser. Bäume aus den Fenstern Nun ist das so. Wenn Bäume auf den Dächern wachsen, so haben in den Städten meistens nur wenige Menschen etwas davon, nur die Penthouse-Be- sitzer. Um die senkrechten Wände zu bepflanzen, ist nur ei- ne radikale Lösung möglich, eben daß Bäume aus den Fen- stern wachsen. Das ist tech- nisch durchaus möglich und durchführbar, und es ist bereits durchgeführt worden. In Wien gibt es bereits Baum-Mieter. Die Bezeichnung Baum-Mieter deshalb, weil ein Baummieter eben ein Mieter ist. Er bezahlt so, wie ein Mieter, nur mit wert- volleren Devisen als ein Mensch ermitteln kann. Ein Mensch zahlt mit wertlosem Pa- piergeld. Der Baum jedoch be- zahlt mit Sauerstoff, mit Schön- heit, dadurch, daß er Staub schluckt in großen Mengen, da- durch, daß er das Echo nimmt, also den Schall schluckt, aber ganz entscheidend. Als Staub- schlucker ist er ein ständiger, lautloser Staubsauger. Er ist ein Klimaverbesserer. Er konser- viert Wärme im Winter, Kühle im Sommer. Dies sind nur einige der wich- tigen Punkte, was ein Baum al- les tun kann. Er ist ebenso ein Wasserverbesserer. Er bringt Tiere in die Stadt, Schmetterlin- ge, Vögel, Es ist eine lange Li- ste, womit ein Baum bezahlt. Technisch geht das so, daß hinter den Fensteröffnungen, wenn das Glas entfernt ist, eine Nische geschaffen wird im Hau- se selbst, die ein bis vier Kubik- meter aufnehmen kann und wo dann von außen her ein großer Baum durch diese Öffnung ge- hievt und gepflanzt wird. Natü- rich wird alles abgedichtet. Man kann diese Nische von innen abschirmen. Dieses Haus ist dann kein Ge- • bilde, das fix und fertig für einen gewissen Zweck, etwa Landes- gartenschau, geliefert wird, und damit ist basta, so wie man das heute normalerweise macht, wie man etwa auch den Eiffel- turm für die Weltausstellung ge- macht hat. Dieses Haus soll wachsen und soll von Jahr zu Jahr, von Generation zu Gene- ration interessanter und besser werden, schon allein durch die Tatsache, daß Bäume aus dem Haus wachsen und daß schon deswegen das Haus immer schöner und interessanter wird. Außerdem soll auch in Zukunft immer weiter verbessert wer- den, ohne daß das den Staat oder die Gemeinde etwas ko- stet, sondern Freude bringt. Dann ist auch sehr viel Herz mit vorhanden, und das strahlt dann aus und das wird der Ge- genpol zur rationalistischen Ar- chitektur, zur herzlosen Archi- tektur, die uns umgibt. Dies wäre eine beispielhafte Tat für die Welt, die in Hamm entsteht. Das Haus soll ein Symbol werden gegen den Ra- tionalismus, also ein Symbol der Kehrtwendung aus einer Sackgasse, ein neuer Beginn, eine Umkehr, die die Unregel- mäßigkeit symbolisiert, die wir brauchen, um zu leben. Wir alle gehen an der Regelmäßigkeit, an der Uniformierung zugrun- de. Die Fensteröffnungen sollen deswegen verschieden sein, entweder dadurch, daß man sie vergrößert oder verkleinert oder versetzt oder neue Öffn un- gen schafft. Das alles in unre- gelmäßigen Formen. Dann soll eine Spirale um das Haus ge- legt werden, auch als Symbol des Werdens und des organi- schen Ablaufes. Keine geome- trische Spirale, die aus Keramik oder Mosaikband in den Ze- ment der Fassade hineingesetzt wird. Säulen, die die Erde tragen Dieses Haus soll wachsen Das Ganze soll von einer viel höheren Warte aus gestartet werden, soll viel größere Di- mensionen bekommen als nur ein Wahrzeichen. Es soll wach- sen, und wenn die Leute begei- stert sind, dann wird das Haus auch wachsen, so ähnlich wie Kathedralen, Kirchen, Schlös- ser, an denen ja auch über Jahr- hunderte hinweg ständig ge- baut wurde und die immer bes- ser geworden sind. Bezahlt wird mit Enthusiasmus — nicht mit Geld. Etwas Menschliches, Natur- gerechtes kann nur dann ent- stehen, wenn es organisch wächst und ständig verbessert wird und wenn die Bevölke- rung, wenn die Menschen das erkennen und in ihr Herz ein- schließen. Die Bäume auf dem Dach sol- len verschiedener Art sein, also keine Monokultur. Es sollen große Bäume sein. Die Trichter sollen freigelegt werden, so daß sie von außen sichtbar sind, so daß man, wenn man darunter vorbeispa- ziert, wirklich das Gefühl hat, unter Säulen zu wandeln, die die Erde, Natur und Bäume tra- gen. Eine Kathedrale der Natur. So ein Haus hat es bisher noch nicht gegeben. Man hat zwar vom Ökohaus gespro- chen, von ökologischen Häu- sern, hat aber dabei doch im- mer nur an das Technische ge- dacht. Bisher war das, was man unter einem ökologischen Haus verstand, ganz einfach ein normales Haus, nur daß man neue Apparaturen dazugesetzt hat wie Windräder, Wasser- pumpen, Sonnen-Kollektoren, die Elektrizität erzeugen oder warmes Wasser, Wärmepum- pen, Gasanlagen, Biogas, Windgeneratoren et cetera. Wenn man alle diese Dinge aufs Haus und um das Haus setzte, dann sprach man von ei- nem ökologischen Haus. Dabei ist es nichts anderes als eine Blitzbesuch vor Ort im Juni: Hundertwasser zeigte sich begeistert von der ehemaligen Kohlenwäsche der Zeche Maximilian, insbe- sondere von den Möglichkeiten, den Betonklotz im Rahmen der Landes gartenschau in ein Okologiehaus zu verwandeln. Gegenpol zur ratio- nalistischen Architektur Foto: Eickmann 10 LGS-Sonderausgabe