Geburtstagsfeier für Johann Sebastian Bach 1985 ist das Jahr der europäi- schen Musik. Wir haben uns daran gewöhnt, die Jahre nach den Namen von großen Män- nern und Frauen zu benennen. Martin Luther und Johann Wolfgang von Goethe sind uns aus der jüngsten Zeit in Erinne- rung. Hätten wir 1985 nach ei- nem einzigen benennen wollen, wären andere wichtige zu kurz gekommen. Baldur Bockhoff beschrieb in der Süddeutschen Zeitung diese „Gedächtnispa- lette" kurz und knapp: „Ge- denktage feiern heißt immer auch Prioritäten setzen. Vor de- nen des Jahres 1985 aber ha- ben wir kapituliert, als wir es kurzerhand zum ,Jahr der euro- päischen Musik' machten. Bach, der tiefgläubige, in sich gekehrte Metaphysiker, Hän- del, der eingängige, griffige, in- ternational eingeübte Concer- togrosso-Produzent, Scarlatti, der leichtgewichtige Tastena- krobat — stimmt solche Wer- tung und diese Rangfolge? Mit welcher dieser drei Komponi- stengestalten sollten wir uns im Jahr ihres 300. Geburtstages vor allem befassen? Wo sind die folgenreichsten Korrektu- ren notwendig?" Neben den „300jährigen" sind noch zwei weitere „europäische Kompo- nisten von Rang zu nennen. Am 14. Oktober ist der 400. Ge- burtstag von Heinrich Schutz, der bestimmenden Musikerge- stalt des Frühbarocks in Deutschland zu gedenken. Der 9. Februar stand im Zeichen der 100. Wiederkehr des Geburtsta- ges von Alban Berg, dem Wie- ner Komponisten der „moder- nen Oper", die von den Natio- nalsozialisten als „entartet" ver- fehmt worden war. Auch in Hamm ist das Kon- zertgeschehen 1985 zum grö- ßeren Teil bestimmt von der In- terpretation musikalischer Wer- ke der genannten Komponi- sten. In einer 24 Seiten starken Broschüre hat Helmut Fort- mann, der Leiter des städti- schen Kulturamtes, die rund 30 Konzertveranstaltungen, die dem Werk dieser fünf Männer gewidmet sind, zusammenge- stellt und die Komponisten kurz portraitiert. Im Monat März sind drei Kon- zertereignisse der Aufmerk- samkeit der Hammer Bevölke- rung anempfohlen. Am 8. wer- den im Heessener Schloßkon- zert Heinrich Schutz und „seine Studienjahre in Venedig" musi- kalisch vorgestellt. Die „erste italienische Reise" (1609-1613) zeigt die künstlerische Bezie- hung zwischen Heinrich Schütz und seinem Lehrmeister Gio- vanni Gabrieli. Die „zweite ita- lienische Reise" (1628/29) mit- ten im 30jährigen Krieg war dem Studium der „neuen Mu- sik" des Claudio Monteverdi ge- widmet, mit dem er in einem „kompositorischen Dialog" tritt. Johann Sebastian Bachs „h- moll-Messe" am 9. März im Kur- haus wird zweifelsfrei einer der Höhepunkte des Jahres „der europäischen Musik" in Hamm sein. Dieses Werk, mit dem Her- bert von Karajan im vergange- nen Jahr in Berlin im künstleri- schen Dialog die Aussöhnung mit seinen Berliner Philharmo- nikern zu Wege brachte, ist im vielfältigen und nahezu uner- schöpflichen CEuvre des Leip- ziger Thomas-Kantors eine her- ausragende Komposition, weil sie „den Rahmen kirchlicher Gebrauchsmusik sprengt". Johann Sebastian Bach war der bedeutendste Sproß einer sten musikalischen Unterricht. Nach Leipzig kam Johann Se- bastian Bach 1723, wo er am 28. Juli 1750 auch verstarb. Bach war zweimal verheiratet und war im Lauf seines Lebens Vater von 11 Söhnen und 9 Töchtern ge- worden. Allerdings starben fünf Töchter und fünf Söhne bereits zu seinen Lebzeiten. Von seinen Söhnen konnten sich als Musi- ker vier einen bedeutenden Na- men erwerben. Johann Sebastian Bach ist wegen der großen Wirkkraft seiner geistlichen Musik häufig der „fünfte Evangelist" (nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes) genannt worden. Nach der Wiederentdeckung seiner Musik im 19. Jahrhun- dert ist die Bach-Reception so durchgängig geworden, daß er heute wie kein anderer der Mu- sikgeschichte als absolute Grö- ße gilt. Werner Klüppelholz versucht das Phänomen Bach in seinem Artikel „Vor Bach sind alle gleich — Über den Notenmei- ster aller Klassen, Schichten und Völker" (Die Zeit, 15. Fe- bruar 1985) mit folgenden Sät- zen zu beschreiben: „L ... Sie Bach? Ei gewiß doch, über al- ..Das ist der einzige. den ich sehen marine. ehe ich sterbe und der ich sein möchte. wenn ich nicht der Bach ware." Georg Friedrich Handel (21 II. 1685 -14 11'. 1759). gezeichnet von Loredano berühmten Musikerfamilie, die in Thuringen beheimatet war und etwa 50 heute noch be- kannte Künstler hervorgebracht hat. Am 21. März 1685 wurde er in der Lutherstadt Eisenach ge- boren als Sohn des dortigen Stadtmusikers Johann Ambro- sius Bach. Als 10jähriger verlor er seinen Vater und kam in die Obhut seines Bruders Johann Christoph (1671-1721), der da- mals Organist in Ohrdruf war. Bei ihm erhielt er auch den er- les, bekennt mein Zahnarz4 und mein Friseur, mein Tennistrai- ner und mein Kultusminister, meine Putzfrau und mein Fräu- lein vom Amt. Für mich ist Bach die absolute Nr. 1, konstatiert ein älterer Zoologie-Professor, seine Musik gibt viel Erbauung, rapportiert ein jüngerer Bun- deswehr-Offizier, sie paßt so gut zu Weihnachten, bemerkt eine Hausfrau, 88, ist einfach toll, lächelt eine Schülerin, 13, sie schafft Beruhigung, spricht ein im übrigen mit kölschen Karnevalsliedern befaßter Elek- triker, und belebt so trefflich ei- nen Kirchenraum, findet eine' Biologin. Bach eigne sich be- stens zum Tanzen, strahle Ge- mütlichkeit eines Kaminfeuers aus, erzeuge eine so harmoni- sche Gänsehaut, klinge so mit- reißend, klar, so einerseits aus- getüftelt, andererseits leben- dig, sei von solcher Mächtig- keit, Melancholie, Gleichmä- ßigkeit, Endlosigkeit, Ordnung, packend wie soul, spannend wie Kartenspiel, sanft wie Meer- brise, so leicht mit dem Bauch verständlich, so immer haar- scharf dran vorbei." Diesem Bach in seinem Werk zu begegnen, werden Hammer Konzertbesucher also am 9. März eine Möglichkeit im Kur- haus haben, wenn der Städti- sche Musikverein unter Leitung von Joshard Daus die h-moll- Messe singt. Die Solopartien haben Christiane Hampe, So- pran, Hildegard Hartwig, Alt, Hein Meens, Tenor und Helmut Guhl, Baß, übernommen. An der Orgel sitzt Alice Petermann. Es spielt die Nordwestdeutsche Philharmonie Herford. Nicht weniger eindrucksvoll dürfte die Passionsmusik in der Pauluskirche am 17. März 1985 um 18.00 Uhr werden. Rolf Schönstedt, der Kantor an der großen Hammer Stadtkirche hat mit seiner Kantorei die Johan- nes-Passion des Johann Seba- stian Bach erarbeitet. Seine Solisten sind: Irene Düsberg, Sopran, Cornelia Dietrich, Alt, Wilhelm Pommerien, Baß (Christus, Arien), Hans-Dieter Seibel, Tenor, Hartmut Ernst, Baß (Arien, Petrus, Pilatus). Den Orchesterpart hat das Kammer- orchester Prof. Ludwig Muller- Gronau aus Detmold übernom- men. Am Orgelcontinuo sitzt Wolfgang Mielke. Die Leitung der Aufführung hat Rolf Schön- stedt, der in einem Einfüh- rungsvortrag am 10. März 1985 um 20.00 Uhr im Lutherzentrum seine Zuhörer mit der Bach- 'schen Passionsmusik vertraut machen will. Mit diesen beiden großen Bachkonzerten feiert die Stadt Hamm in gebührender Weise im Geburtsmonat des großen Meisters den 300. Geburtstag von Johann Sebastian Bach. Es gilt hervorzuheben, daß in bei- den Konzerten die „Hauptlast der Aufführungen von Hammer Laienchören getragen wird, de- ren jeweiliger Klangkörper von großer Qualität bestimmt ist. Die Konzertbesucher erwartet ein ergreifendes Musikerlebnis von hohem Rang. Fred. G. Rausch 13