Mit Pinsel und Zeichenstift durch Hamms Umgebung Wie man das 20. Jahrhun- dert später einmal benennen wird, können wir noch nicht absehen. Auf dem Umschlag eines amerikanischen Ta- schenbuchs Ober den alliierten Kampf um den Ruhrkessel spricht der Untertitel vom „Jahrhundert der Gewalt". Ein kaltes menschenauslöschen- des Licht der Vernichtung brennt in dieser Floskel. Es läßt die Opfer der Gewalt ins Wesenlose versinken. Manch- mal scheint es, als hätten sie nicht gelebt. Und dann hält man plötzlich ein paar Briefe in der Hand, Fotos, Ausweise, Zeugnisab- schriften. Ein junger Mensch, seine Freunde, seine Familie, seine Lebensfreude und Aus- gelassenheit sprechen daraus, all die Pläne, die einer hatte, seine Begabung, sein Lebens- wille: ausgelöscht. Solcherlei Schriftgut, nur ei- ne Handvoll, erhielt das Stadt- archiv von einem greisen Prie- ster aus dem Rheinland, Dinge aus dem Nachlaß seines im März 1918 gefallenen Bruders. Das Foto des Hammer Abitu- rienten von 1911 zeigt einen jungen Mann mit klaren, offe- nen Zügen, — ein anderes sei- nen Grabstein in der Gegend von Laon. Nach der späteren Überführung schläft er den ewigen Schlaf auf dem Sol- datenfriedhof von Sissones. Der Nachruf auf den Leutnant der Reserve Rudolf Böhner, Bataillons-Adjutant und Inha- ber des EK II, charakterisiert ihn als „schneidigen Offizier und beliebten Kameraden". Aber das ist ja nicht alles. Böhner war als Architekturstu- dentin Hannover eingeschrie- ben gewesen, bis der Krieg sein Studium unterbrach. Zwei Jahre vor dem Abitur hatte er seinen erst 51-jährigen Vater verloren, einen überaus ge- schätzten Juristen, Ober- landesgerichtsrat in Hamm seit 1902. Schwere Jahre folg- ten für die Witwe, der es allen Schwierigkeiten zum Trotz ge- lang, ihre drei Kinder studieren zu lassen. Da liegen sie nun, die alten Klassenfotos, auf denen die Gymnasialmütze jedem keck auf dem Ohr sitzt. Ausflüge gab es, darunter einen zum Schloß Burg an der Wupper, wo die munteren Jungen sich eine „Burger Bretzel" umhäng- ten. Pellkartoffelessen vor der Kamera, Kahnfahren auf der Lippe, — wie war das Leben schön! Nachmittags griff der Gymnasiast zum Zeichen- block, nahm auch wohl Bunt- stifte oder den Tuschkasten mit hinaus und radelte in 55. Spielzeit der Waldbühne Heessen Wenn in diesen Wochen die Proben der Saison 1979 der Waldbühne Heessen für „Der Hochverräter" (Thomas Mann) und „Das tapfere Schneiderlein" beginnen, so ist dies die 55. Spielzeit der Waldbühne Heessen. Insge- samt hatte die Bühne bisher 1,78 Millionen Besucher, da- von 33 000 im letzten Jahr. An- ton Funke, der trotz seines ho- hen Alters noch gekonnt im Erwachsenentheater Regie führt, will den „Hochverräter" in die Reihe der großen Cha- rakterspiele der Waldbühne gestellt wissen. Die Forderun- gen des Thomas Morus nach Freiheit und Menschlichkeit sind 1979 so aktuell wie sie es vor 500 Jahren waren. Die Spannung des Stückes liegt in seinem deutlich zu Tage tre- tenden aktuellen Bezug. Auch „Das tapfere Schnei- derlein" wird sicher die vielen Freunde des Kindertheaters begeistern. Bereits 1963 stand es auf dem Spielplan. Die Waldbühne ist überzeugt, den damaligen Erfolg noch zu übertreffen und an „Pippi Langstrumpf" anzuschließen. Insgesamt sind 32 Aufführun- gen vorgesehen. 1908 /09 mit Pinsel und Zei- chenstift durch Hamms schö- ne Umgebung: Rudolf Böh- ners Zeichnungen und Aqua- relle sind im Gustav-Lijbcke- Museum ausgestellt. Auf der nebenstehenden Reproduk- tion ist die Kirche in Berge zu sehen. überhangen. lissen Auf einer Bleistiftzeichnung sehen wir das Schleusen- tor als exakte Architek- turzeichnung, und doch von eigentümlichem Stirn- mungszauber überhaucht. Nach Heessen geht es weiter, auch dort lockt die Schleusenpartie, an der Hammer Kahnfahrer ihre Boote vertäuten. Wasser, dies immer bewegte, lebendi- ge Element, — wie haben sie es geliebt! Wer unter den HAMMAGA- ZIN-Lesern die kleinformati- gen Zeugnisse anspruchloser Kunstbetätigung im Museum anschauen wird, der betrach- tet sie wohl in erster Linie als Bekundungen der Heimatlie- be. Denkt er dabei an das „Jahrhundert der Gewalt?" An die ungezählten Opfer, die es forderte? An Kriege, denen ei- ne ratlose Menschheit Ziffern beigab, um sie unterscheiden zu können? Es fällt einem vielauf die See- le, angesichts dieser so lie- Hinterlassen- benswerten schaft. v. Sch. Hamms schöne Umgebung. Einige Ergebnisse seines Flei- ßes, durch Jahrzehnte liebe- voll aufbewahrt, haben jetzt den Weg ins Hammer Museum gefunden, das schönste: ein Aquarell der Kirche in Berge, die verwunschen im Grünen liegt. Die ganze Behaglichkeit einer sonnenbeglänzten Nachmittagstunde ist einge- fangen. Dann das Bootshaus am Lippeufer, wie es sich den ansteuernden Ruderen vom Wasser aus darbot. Wie oft mögen hier, unterhalb des Gymnasialschulhofes, die Stimmen sonnengebräunter Jungen zu hören gewesen sein! Etwas weiter nörd- lich lag damals noch die Schleuse, Schilf, von angedeuteten Baumku- hinter Erste Sprechproben für die Spielzeit 1979. Auf dem Programm der Waldbühne Heessen: „Der Hochverräter" und „Das tapfere Schneiderlein". 19