Ich als Ausländer wurde dann ihr Kolonnen- führer. Zuerst habe ich alle ermahnt, sich gegenseitig mit Namen anzusprechen oder wenn der nicht bekannt war, Kollege zu sagen. Das hat funktioniert und sieben Monate haben sie dann mit mir Nacht- schicht gemacht. Ich glaube, ich habe eine gute Kultur eingeführt. Ich habe die Leute auch gut behandelt. Für die Firma Noell war ich fast überall auf unserem Planeten und habe die Welt und viele Menschen gesehen. Ich habe reiche bis super reiche Länder kennen gelernt, aber auch arme und ärmste Länder. Ich habe auch viel gesehen, was mich noch heute fassungslos macht. Als ich am Gelben Fluss, an der Grenze zum Himalaya, an einem Sechs-Turbinen-Wasserkraft werk mit je 650 Megawatt Rohrleitungen geschweißt habe, ist ein etwa sechsjähriges Mädchen vor den Augen seiner Mutter in den reißenden Fluss gefallen. Das Kind war einfach weg und niemand hat das gestört, nicht einmal die Mutter. Durch die Ein-Kind-Politik konnte sie jetzt wieder ein Kind bekommen und vielleicht wird das ein Junge ... Viel war ich unterwegs. Zu Hause war meine Frau der Chef. Sie hat das großartig gemeistert. Sie hat unsere zwei Töchter gut erzogen und war eine verlässliche Partnerin. Ohne ihre Unterstützung hätte ich meinen Job nicht machen können. Seit 2005 bin ich im Ruhestand und fahre mit Leidenschaft Rennrad. In der Woche fahre ich schon mal 200 bis 300 Kilometer. Ich habe inzwischen fünf Rennräder, für jedes Wetter eins und die passende Kleidung dazu. Bei den Rahmen bevorzuge ich italienische Fabri- kate. Leicht und stabil soll das Rad sein und da ich ja nicht mehr so ganz schlank bin, müssen die Räder kräft ige Speichen haben. Italien ist mein Geburtsland, dort habe ich meine Wurzeln, aber inzwischen hat sich dieses Land immer weiter von mir entfernt, so dass ich nicht mehr regelmäßig hinfahre, um Freunde und Verwandte zu besuchen. In unserer Gemeinde ist die Zeit auch nicht stehen geblieben und da, wo früher Wiesen und Felder waren, ist heute alles bebaut. Ich bin italienischer Staatsbürger geblieben und 1985 wurde meine „Aufent- haltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaates der (damaligen) EWG“ mit dem Stempel Daueraufenthalt versehen. ■ Hammthema / 5 Ein Italiener in Heessen: Luciano Ceola mit seiner Frau Elisabeth Viel unterwegs: der stolze Autobesitzer Glückliches Paar: auf einem Foto von 1969 eine Wanddicke von 40 Millimetern. 1972 ging Humboldt Deuz in Konkurs und die Firma Noell in Würzburg hat unsere komplette Kolonne übernommen. Ich war dann 33 Jahre bei Noell, davon 20 Jahre auf Reaktor-Baustellen und die übrige Zeit habe ich im Rohrleitungsbau an Wasserkraft - werken und Schleusentoren gearbeitet. Bei vielen Projekten war ich dabei und jedes Mal habe ich etwas dazu gelernt. Es hat mir Spaß gemacht, ich war anerkannt, na ja, malochen muss man immer. Aber die Leute waren gut – Ingenieure, Vorarbeiter – insgesamt waren 300 Kollegen auf Montage. Selbst der Direktor kannte mich und sagte mal zu mir: „Luci, Du musst mich mal in meinem Büro besuchen.“ „Nein, nein“, habe ich gesagt, „Sie wohnen mir zu hoch.“ 1968, noch zu DDR-Zeiten, war ich auf einer Baustelle in Berlin. Am Sonntagabend zwischen 18 und 19 Uhr bin ich losgefahren, denn ich wusste nie, wann ich am nächsten Morgen in Berlin sein würde. An der Grenze waren die Volkspolizisten unberechenbar. Manchmal wurde ich die ganz Nacht festge- halten. Ich habe mal gesagt: „Kumpel, ich muss morgen arbeiten.“ Das hat niemanden interessiert und es ging nicht weiter – alles reine Schikane. Dann war ich endlich an der Reihe. Die haben vielleicht mein Auto demontiert! Luftfilter, Bremsen, Stahl- kappen an den Rädern, Gummi an den Pedalen, hinter die Türverkleidung den Schraubenzieher gesteckt und mit einem Spiegel das Auto von unten abgesucht. Da habe ich mir mal den Spaß erlaubt und gesagt: „Oh, warte mal, ich laufe hinter dir her und gucke, wo mein Auto verrostet ist.“ Nach der Wende war ich im Braunkoh- lekraft werk in Weißwasser, das zu DDR- Zeiten 7500 Beschäft igte hatte. Die STEAG hatte dieses Kraft werk gekauft und sofort 4000 Leute nach Hause geschickt. Wir haben an der Rauchgasentschwefelungsanlage von einem Deckenkran aus gearbeitet. Es war Winter und regelmäßig abends ab elf Uhr drehte der Wind und das Nieselwasser der Kühltürme legte sich auf die Laufschienen des Krans und gefror, so dass er sich nicht mehr elektrisch steuern ließ. Wir konnten doch jetzt nicht einfach Feierabend machen. Also, was tun? Wir haben dann mit vereinten Kräft en den Kran mit Gurten von unten und von Hand gezogen und haben weiter gear- beitet. Auf den Baustellen in Ostdeutschland gab es auch ein Problem: Die Westdeutschen wollten nicht mit den Ostdeutschen arbeiten, auf irgendeine Weise herrschte Feindschaft .